"Ich wusste, jetzt kommt wieder Australien, wieder der Druck. Ich begann zu leiden.": Garbine Muguruza erklärt ihre Entscheidung, eine Tennis-Pause einzulegen und sich schließlich zurückzuziehen

WTA
Montag, 03 November 2025 um 20:00
Muguruza Kremlin
Garbine Muguruza lebte den größten Teil ihrer Karriere im Auge des Sturms. Als zweifache Grand-Slam-Siegerin, ehemalige Nummer 1 der Welt und Gewinnerin der WTA Finals baute sie ihren Erfolg auf eiserner Disziplin und einem kompromisslosen Perfektionsanspruch auf. Doch als der Lärm schließlich verebbte, merkte sie, dass genau diese Intensität, die sie an die Spitze gebracht hatte, sie auch vom Leben fernhielt.
"Tennis war alles", erinnert sich Muguruza im Interview mit dem Tennis Insider Club. "Wenn ich ein großes Match verloren habe, war ich kurzzeitig deprimiert. Ich ging allein nach Hause in die Schweiz, meine Eltern waren in Spanien, und es war hart. Mein Selbstwertgefühl hing davon ab, wie gut ich war."
Heute lächelt sie über diese Zeit, doch das Gefühl war real: aufwachen, essen, schlafen – alles drehte sich um Tennis. Als die Erfolge ausblieben, bröckelte auch ihr Selbstbild. "Was mir einst zum Erfolg verhalf, wurde zu meinem Kryptonit", sagt sie. "Ich konnte diese Intensität nicht mehr halten – mental, emotional, die Fähigkeit zu leiden."

Ein Sturz und die Abrechnung mit dem Tennis

Nach den Triumphen in Roland-Garros 2016 und Wimbledon 2017 fiel Muguruza in der Rangliste zurück – erst aus den Top 5, dann aus den Top 20. "Ich war immer noch gut, aber nicht da, wo ich es verdiente", sagt sie. "Ich fragte mich: Muss ich etwas ändern? Warum klappt das nicht mehr?"
Sie stellte ihr Team um, fand langsam wieder Vertrauen und kehrte zurück an die Spitze – bis zum Titelgewinn bei den WTA Finals 2021 in Guadalajara. Doch der Sieg brachte keine Freude, sondern Erleichterung. "Ich war erschöpft", sagt sie. "Ich wusste, jetzt kommt wieder Australien, wieder der Druck. Ich begann zu leiden, obwohl ich gerade einen der größten Titel gewonnen hatte."

Die Pause, die alles veränderte

Schließlich war die Müdigkeit zu groß. "Ich dachte, ich bräuchte nur zwei Wochen", sagt Muguruza. "Aber ich fühlte mich schuldig, kam unglücklich zurück und machte dann endlich eine richtige Pause."
Diese Pause dauerte länger – und brachte Klarheit. Zum ersten Mal entdeckte sie ein Privatleben jenseits des Platzes. "Vorher hatte ich keins", sagt sie. "Als ich es dann hatte, öffnete es mir den Kopf."
Als die Frage nach dem Rücktritt kam, traf sie die Entscheidung mit Ruhe. "Die Leute sagten: Du bist so jung, warum aufhören? Aber ich wollte ein neues Kapitel – eine Familie, das Leben genießen. Ich hatte das Gefühl, dass mein Leben gerade erst anfängt. Als ich mich entschieden hatte, war es wie Freiheit."
Denkt sie an ein Comeback? "Das werde ich oft gefragt", sagt sie lächelnd. "Aber ich hatte kein Benzin mehr. Um in den Top 5 zu bleiben, braucht man totale Hingabe – manchmal ungesund. Als ich merkte, dass ich das nicht mehr wollte, wusste ich, das war meine Antwort."
Denn wer einmal die Nummer 1 war, kennt kein halbes Maß. "Ich habe versucht, entspannter, sozialer, ruhiger zu werden – aber das war nicht ich. Für mich galt immer: alles oder nichts."
muguruza ao 2022
Garbine Muguruza vor dem Ende ihrer Karriere.

Ein neues Kapitel, dieselbe Leidenschaft

Heute ist Muguruza aus einem neuen Blickwinkel zurück im Tennis – als Turnierdirektorin der WTA Finals, des Events, das zugleich einen Höhepunkt und ein Ende markierte. "Ich hätte nie gedacht, dass sich diese Gelegenheit so schnell ergeben würde", sagt sie. "Ich liebe es, meine Erfahrung zu nutzen, um zu verstehen, was die Spielerinnen wollen. Jetzt sehe ich, wie viel Arbeit hinter den Kulissen steckt! Als Spielerin hat man davon keine Ahnung."
Sie geht durch die Aufenthaltsräume der Spielerinnen, besucht Trainingsplätze, plaudert frei – ein vertrautes Gesicht in einer neuen Rolle. "Ich bin nicht besonders gesellig", lacht sie. "Aber sie können mit mir reden, Fragen stellen. Ich gehe zum Training, rede ein bisschen über Tennis. Das macht mir wirklich Spaß."

Kein Bedauern für Muguruza

Wenn sie ihrem jüngeren Ich etwas sagen könnte, wüsste Muguruza sofort, was: "Halte durch", antwortet sie ohne Zögern. "Früher habe ich alles als Leben oder Tod gesehen. Ich habe mir gesagt, dass ich einfach durchhalten muss, denn alles geht vorbei. Das, was heute riesig wirkt, ist morgen schon vergessen."
Diese Gelassenheit, die sie früher für eine Schwäche hielt, sieht sie heute als ihren größten Sieg. "Es ist wichtig zu wissen, wann man aufhören muss", sagt sie. "Diese Intensität hat meinen Charakter und meine Widerstandsfähigkeit geprägt, aber wahre Freiheit bedeutet, loslassen zu können."
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