Angelique Kerber befindet
sich bei den Olympischen Spielen in Paris auf ihrer letzten Reise. Nach
Olympia ist Schluss, doch das Ende ist noch nicht in Sicht. Bei ihrem
hart umkämpften Dreisatzsieg gegen die Rumänin Jaqueline Cristian
erlebte Kerber einmal mehr eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Immer im
Kopf: Tochter Liana, die der dreifachen
Grand Slam-Gewinnerin den
entscheidenden Kick verleiht.
Als
es im dritten Satz ans Eingemachte ging, war die Stimmung auf dem
kleinen Court 14 von Roland Garros am Siedepunkt. Wie eine Wand standen
die Fans hinter der frenetisch gefeierten Siegerin. Die
Zuschauer auf der einen Courtseite riefen "Angie", die auf der
gegenüberliegenden antworteten mit "Kerber". Eine Atmosphäre wie im
Fußballstadion. "Es gab 'Angie Kerber'-Rufe ohne Ende, das gibt es sonst nirgendwo", sagte Eurosport-Experte Mischa Zverev. "Die Stimmung war einfach toll und Angie hat sich das auch verdient."
Er habe in der Kommentatoren-Kabine "gezittert und gefiebert" und sich am Ende "vor allem gefreut", ergänzte Zverev.
Kerber bereit zu fighten: "Das Herz auf dem Platz lassen"
Auf
ihrer letzten Reise als professionelle Tennisspielerin erlebt Kerber
noch einmal das volle Programm an Emotionen. Nach dem etwas überraschend
deutlichen 7:5, 6:3 Auftaktsieg gegen
Naomi Osaka musste die 36-Jährige in Runde zwei alles aus sich herausholen, um Cristian in die Knie zu zwingen. "Das
Match war ein permanentes Auf und Ab, unfassbar anstrengend für beide
Spielerinnen. Angie sah im dritten Satz müde aus, nach dem verwandelte
Matchball dann plötzlich so, als könne sie noch einen weiteren Satz
spielen", analysierte Zverev.Kerber lieferte
eine einfache Erklärung für ihr Comeback im dritten Satz. "Nach dem
zweiten Satz habe ich mir nochmal kurz eine Pause gegönnt und versucht,
alles in den dritten Satz reinzuholen und das Herz nochmal auf dem Platz
zu lassen", sagte die dreifache Grand Slam-Siegerin.
Kerber von Atmosphäre beflügelt
Die
Unterstützung der Zuschauer habe ihr geholfen, die letzten verfügbaren
Körner aus dem Körper zu holen. Ende es dritten Satzes musste Kerber
gegen ihre zehn Jahre jüngere Gegnerin sehr viel laufen und rettete sich
bisweilen nur mit Mondbällen aus der Bredouille. Doch
Kerber genießt die Zielgerade ihrer erfolgreichen Karriere in vollen
Zügen. "Die Atmosphäre hat vielleicht die entscheidenden zwei, drei
Prozent gebracht", sagte Kerber. "Das
ist schon etwas ganz Besonderes. Ich versuche hier alles mitzunehmen
und so lange es geht mitzuspielen. Ich habe mit Osaka eine klasse
Spielerin geschlagen und jetzt ein so enges Match gewonnen. Diese
Emotionen kann mir keiner mehr nehmen", ergänzte Kerber, die im
Achtelfinale auf die ehemalige US Open-Finalistin Leylah Fernandez aus
Kanada trifft.
Entscheidung über Karriereende ist unumstößlich
Großen
Anteil an Kerbers Erfolgen auf der von ihr eigentlich ungeliebten roten
Asche in Paris hat ein 17 Monate altes Mädchen - Töchterchen Liana.
"Die Kleine ist immer dabei, sie ist auch jetzt da. Und das hat mir den
letzten Push gegeben, noch einmal alles rauszuhauen", sagte Mama Angie
mit feuchten Augen.Wie
viele Seiten ihr letztes Kapitel haben wird, weiß Kerber nicht und es
ist ihr auch relativ egal. "Ich will das hier so lange wie möglich
genießen und wenn es vorbei ist, ist es eben vorbei", sagte sie. Vor
ihrem Zweitrundenmatch hatte Alexander Zverev über Kerbers Plan noch
geunkt: "Die hört doch jetzt nicht auf, dafür spielt sie viel zu gut."
Doch der Entschluss, die Karriere nach den Spielen zu beenden, ist
unumstößlich. "Ich kämpfe jeden Tag mit den Emotionen, und manchmal ist
das echt taff. Aber die Entscheidung steht", verdeutlichte Kerber.Womöglich
ist schon am Dienstag alles vorbei. Kerber muss gleich doppelt ran - im
Einzel gegen Fernandez (12 Uhr im Liveticker) und später am Tag im
Doppel an der Seite von
Laura Siegemund.