Suzanne Lenglen war nicht nur der erste globale Tennis-Superstar – sie veränderte die Grenzen ihres Sports. Ihre ungeheure Popularität trug sogar dazu bei, dass
Wimbledon seinen ursprünglichen Standort an der Walpole Road verließ und auf das deutlich größere Gelände des heutigen All England Club umzog.
Une Parisienne à la Côte d’Azur
Geboren in der französischen Hauptstadt Paris am 24.05.1899 als Tochter von Charles und Anais. Ihr jüngerer Bruder starb tragischerweise im Kleinkindalter. Nachdem ihr Vater ein pferdeomnibus-Unternehmen von seinem eigenen Vater geerbt hatte, zog die Familie nach Nizza an die Côte d’Azur. Sie lebten in unmittelbarer Nähe des Nice Lawn Tennis Club. Lenglen wurde in vielen Sportarten talentiert, darunter Diabolo, ein Spiel, bei dem ein Kreisel auf einer Schnur zwischen zwei Stäben balanciert wird. Ihr Vater war überzeugt, dass ihr das Auftrittstraining als Diabolo-Künstlerin half, mit mehr Selbstvertrauen vor Publikum Tennis zu spielen. Es war auch ihr Vater, der Lenglen im Tennis ausbildete – und der Erfolg stellte sich rasch ein.
Bereits mit 13 Jahren holte Lenglen ihren ersten Titel beim Turnier von Picardie in Compiègne, Frankreich. Weitere Titel folgten in Wimereux und Le Touquet. Im Jahr darauf steigerte sie sich noch einmal deutlich: Die Pariserin gewann fünf Turniere, darunter die prestigeträchtigen World Hardcourt Championships. Diese Phase jugendlicher Erfolge wurde abrupt durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs gestoppt. Lenglens Karriere lag auf Eis, bis die Feindseligkeiten 1919 endeten.
Dominanz und Triple
Als der Tennissport nach dem Krieg wieder anlief, dominierte Lenglen und war sechs Jahre lang kaum zu schlagen. Es war noch die strikte Amateurära des Tennis, in der Reisebeschränkungen die Felder deutlich weniger international machten als heute. Bis 1922 galt zudem das Challenge-Round-System – die amtierende Grand-Slam-Siegerin musste zur Titelverteidigung nur das Finale spielen –, was die Dominanz erleichterte. Gleichwohl können nur wenige in der Amateurära mit Lenglens Titelflut und Konstanz mithalten.
1919 gewann Lenglen neun der zehn Einzelturniere, an denen sie teilnahm. Bemerkenswert: Bei den South of France Championships gab sie in vier Matches nicht ein einziges Spiel ab. In diesem Jahr gab sie ihr Wimbledon-Debüt. Die Französin musste sechs Runden überstehen, um die Chance zu bekommen, die siebenfache Titelträgerin Dorothea Lambert Chambers zu entthronen. Das Endspiel wurde ein Klassiker: Lenglen siegte 9:7 im dritten Satz in einem epischen Duell über damals rekordverdächtige 44 Spiele. Lenglen war zwanzig Jahre jünger als Chambers. Dieser erste Grand-Slam-Titel wurde zum Startschuss für fünf Wimbledon-Triumphe in Serie.
1920 war Lenglen unangreifbar: 13 Titel, darunter die erfolgreiche Titelverteidigung in Wimbledon. Im Endspiel wiederholte sich die Paarung des Vorjahres, diesmal deklassierte Lenglen Chambers mit 6:3, 6:0. Weitere Titel holte sie bei den French Championships – dem Vorläufer der heutigen French Open –, die noch keinen Grand-Slam-Status hatten, da nur Spielerinnen französischer Clubs startberechtigt waren. Im August gewann Lenglen bei den Olympischen Spielen in Antwerpen das „Triple“: Gold im Einzel, Doppel und Mixed.
Lenglens Saison 1921 brachte zehn Titel, darunter die erneuten Triumphe in Wimbledon und bei den French Championships. Um ihren Status als Weltmeisterin zu unterstreichen, reiste sie zu den US National Championships (heute US Open). In Runde zwei war sie gegen die US-Ikone Molla Mallory, achtfache US-Siegerin, angesetzt, erkrankte jedoch unmittelbar vor dem Match. Mallory gewann den ersten Satz, danach gab Lenglen beim Stand von 0:2 im zweiten Satz auf. Es war, bemerkenswerterweise, Lenglens einzige Einzelniederlage nach dem Ersten Weltkrieg.
Eine gewaltige Siegesserie von 179 Matches begann, als Lenglen im März 1922 zurückkehrte und ihre Dominanz erneut untermauerte. Diese Serie hielt bis zu ihrem Abschied aus dem Amateurlager. Im selben Jahr gewann sie Triples in Wimbledon, bei den World Hardcourt Championships und den French Championships. In Wimbledons Finale nahm sie gegen Mallory Revanche und siegte in nur 26 Minuten. Es ist bis heute das kürzeste Endspiel der Wimbledon-Geschichte.
Unschlagbar bis verletzungsgeplagt
Ihre Saison 1923 erreichte nochmals neue Höhen. Alle 16 Einzelturniere, die sie spielte, gewann sie. Darunter fiel der Sieg bei der letzten Auflage der World Hardcourt Championships.
1924 entwickelte sich für die französische Stilistin zu einem Jahr mit vielen Verletzungen. Auf der Riviera bestritt sie nur drei Einzelturniere – und gewann sie alle. Es folgte ein Erfolg beim Barcelona International, doch bei der Rückkehr erkrankte sie zudem an Gelbsucht. In Wimbledon musste sie ungewohnt hart arbeiten. In Runde vier verlor Lenglen gegen Elizabeth Ryan einen Satz – erst den dritten Satzverlust seit dem Krieg – und setzte sich knapp im Entscheidungssatz durch. Auf ärztlichen Rat zog sie jedoch zurück und vergab damit die Chance auf den sechsten Wimbledon-Titel in Folge. Noch schwerer wog, dass sie im Sommer auch ihre Heim-Olympiade in Paris verpasste.
Acht Titel im Jahr 1925 umfassten die French Championships – nun als Grand Slam anerkannt – und den letzten ihrer sechs Wimbledon-Triumphe. Beide Einzelsiege ergänzte sie durch Titel im Doppel und Mixed bei beiden Majors. Später im Jahr, bei ihrem einzigen Karrierestart in England außerhalb Wimbledons, gewann Lenglen im Doppel und Mixed die Cromer Covered Courts Championships.
Die Saison 1926 sollte Lenglens letzte im Amateurbereich sein. In Erinnerung blieb vor allem das als „Match des Jahrhunderts“ bezeichnete Duell gegen die dreimalige US-Siegerin Helen Wills (später Wills Moody), die Lenglens Strahlkraft zunehmend Konkurrenz machte. Wills reiste an die Côte d’Azur, um Lenglens Vormacht zu testen. Beim einzigen Einzelturnier, das beide spielten, dem Carlton Club in Cannes, kam es zum Finale der Titaninnen ihrer Zeit. Das enorme Interesse führte dazu, dass die Tribünenkapazität verdoppelt wurde; manche verfolgten das Match von Bäumen und anderen erhöhten Punkten. Der Sieg ging in einem engen Dreisatzkampf an Lenglen. Gleichwohl war ihre Aura der Unbesiegbarkeit angekratzt, so knapp Wills an der Sensation vorbeischrammte. Die Amerikanerin blieb an der Riviera, doch Lenglen akzeptierte kein Rückspiel. Dieses ikonische Duell zündete leider keine Rivalität, die es mit Evert/Navratilova hätte aufnehmen können.
Der Grund, warum sie nie wieder aufeinandertrafen, lag in Lenglens Entscheidung, Ende 1926 den Amateursport zu verlassen und Profi zu werden – damit beraubte sie sich der Chance, ihre Bilanz von acht Grand-Slam-Einzeltiteln weiter auszubauen. In Wimbledon jenes Jahres, ihrem letzten Major, war Lenglen von ihrer Behandlung frustriert, nachdem ihr Einzel verlegt wurde, um einen Besuch von Queen Mary zu ermöglichen. Sie ließ die Königin warten, woraufhin sich das Publikum gegen sie stellte. Obwohl sie noch im Einzel und im Mixed im Turnier war, zog sie sich sensationell zurück. Die einen Monat zuvor gewonnenen Französischen Meisterschaften sollten ihr letzter Grand-Slam-Triumph bleiben.
Einen Monat später unterschrieb Lenglen einen Vertrag über 50.000 Dollar mit dem US-Promoter C. C. Pyle. Zuvor hatte sie Profiangebote abgelehnt, doch die bittere Wimbledon-Erfahrung brachte die Kehrtwende. Auf der Profitour fehlten jedoch Spitzenkräfte, und Lenglen gehörte zu einer kleinen Gruppe, die eine Showtour mit 40 Stationen spielte. Das Problem: Ihre einzige Gegnerin war die unbekannte Mary Browne. Erst im 33. Duell gewann Browne überhaupt einen Satz! Es folgte 1927 eine kürzere Großbritannien-Tour. Die Veranstaltungen waren lukrativ und gut besucht.
Für ihren Schritt in den Profisport erntete Lenglen scharfe Kritik. Ihre Mitgliedschaft im All England Club wurde entzogen. Die Pariserin verteidigte sich gegen die wachsende Kritik: „In den zwölf Jahren, in denen ich Meisterin war, habe ich buchstäblich Millionen von Francs für den Tennissport verdient ... Und in meinem ganzen Leben habe ich nicht 5.000 Dollar verdient – keinen einzigen Cent davon mit meiner Spezialität, meinem Lebenswerk – Tennis ... Ich bin siebenundzwanzig und nicht wohlhabend – soll ich eine andere Laufbahn einschlagen und diejenige aufgeben, für die ich das habe, was die Leute Genie nennen? Oder soll ich der Aussicht auf wirkliche Armut ins Gesicht lächeln und weiter ein Vermögen verdienen – für wen?“ Lenglen setzte zu einer Tirade über fehlende Verdienstmöglichkeiten und Anreize an, Tennis als Beruf zu sehen: „Unter diesen absurden und veralteten Amateurregeln kann nur ein wohlhabender Mensch konkurrieren, und Tatsache ist, dass nur Wohlhabende konkurrieren. Ist das fair? Fördert das den Sport?“ Erst gut vier Jahrzehnte später wurde der Sport vollständig „open“, und Amateure sowie Profis konnten gleichzeitig bei den Grand Slams starten.
Über Doppel und Mixed gerechnet gewann Lenglen 167 Titel. Darunter waren 12 Grand-Slam-Titel (sieben im Doppel und fünf im Mixed). Den Großteil ihrer Erfolge im Damendoppel feierte sie mit der Amerikanerin Elizabeth Ryan.
Privatleben – Autorin und Gesundheitsprobleme
Ihre zentrale Liebesbeziehung war mit dem US-Geschäftsmann Baldwin Baldwin. Er war verheiratet, und seine Frau verweigerte die Scheidung, sodass sie nicht heiraten konnten.
Lenglen verfasste zahlreiche Tennisbücher. Unter ihren Publikationen war auch der Liebesroman The Love Game: Being the Life Story of Marcelle Penrose. Zudem trat sie in der Filmkomödie Things Are Looking Up auf, in der sie eine Tennisspielerin verkörperte.
Die achtfache Grand-Slam-Einzelsiegerin wechselte schließlich ins Trainerfach. 1936 eröffnete Lenglen eine Tennisschule im Tennis Mirabeau in Paris. Zwei Jahre später wurde sie zur ersten Direktorin der Französischen Nationalen Tennisschule ernannt.
In den 1930er-Jahren machten sich gesundheitliche Probleme bemerkbar. Im Oktober 1934 wurde ihr der Blinddarm entfernt. Am 04.07.1938 starb Lenglen an dem, was als
perniziöse Anämie berichtet wurde. Sie war erst 39.
Lenglen war die erste Spielerin, die den Sport überstrahlte. Die Massen, die zu ihren Matches strömten, zeigten ihre Zugkraft. Ihre Dominanz war extrem: Sie gewann neun Einzeltitel, ohne ein einziges Spiel abzugeben. Sie war eine Wegbereiterin. Zunächst als Modepionierin: Ihre Entscheidung, in sportgerechterer Kleidung zu spielen, war ein Gamechanger. Lenglen engagierte Jean Patou für Entwürfe, die ihr ihre charakteristische, sprungvolle Ballett-Bewegung in den Ballwechseln ermöglichten und ihre Beweglichkeit auf dem Platz steigerten. Suzanne Lenglen war auch die erste Spielerin, die Profi wurde. Das war für die Zuschauer bedauerlich, denen eine große Rivalität mit Helen Wills entging, und es verhinderte, dass Lenglen ihr Oktett an Majors ausbaute. Trotz der Unterbrechungen durch diese Entscheidung und den Ersten Weltkrieg ist Lenglen bis heute die französische Tennis-GOAT. Die Siegertrophäe im Dameneinzel der French Open trägt ihren Namen, ebenso der zweitgrößte Showcourt in
Roland Garros.
Lenglens Leben war kurz, aber sie füllte es damit, zur ersten globalen Tennisikone zu werden.